ÄCHZessibility Award: Mobility Car Sharing und Stationen im öffentlichen Verkehr

Die 'Mobility' und die 'Stationen' App sind beide für die Swiss App Awards nominiert, wenn auch in unterschiedlichen Kategorien. Wir lassen blinde Anwender die Apps auf ihre Barrierefreiheit hin untersuchen. Und Ja, wir sagen Ihnen, warum der barrierefreie Zugang für blinde auch bei Apps wie 'Mobility Car Sharing' wichtig ist.
Siegespokal mit Schriftzug "Teil 3"

SERVICE: Die Ergänzung zu diesem Text ist auch heute wieder ein Audio-File mit Ausschnitten aus den Interviews. 03 Mobility App und Stationen, MP3 (FM-qualität)

Frank Buchter: Technik hilft im Beruf und privat

Frank Buchter ist ein weiterer Iphone-Anwender, den wir Ihnen vorstellen möchten. Frank Buchter (Link zu seiner Website) (49) lebt in Roggwil (BE) und arbeitet hauptberuflich als reformierter Pfarrer. Aufgrund seiner Behinderung (er ist vollständig blind), hat er schon immer mit technischen Hilfsmitteln gearbeitet. Gerade im Beruf seien diese sehr wichtig, sagt er.
Erst vor einigen Monaten, trennte er sich von seinem bisherigen Handy (einem Gerät der Marke Nokia) und legte sich ein Iphone 4s zu. Das Iphone fand er insbesondere wegen des auch für ihn zugänglichen Touch-Screens hoch interessant: «In den letzten Jahren galten die vielen Touch-Screens – an Ticket-Automaten, Haushaltgeräten und so weiter – immer als ausschliessend für blinde Menschen; man bedauerte, dass solche Technologien populär wurden, und niemand hielt es für möglich, dass man sie einmal als blinde Person nutzen könnte. Nun ist es mit dem Iphone auf einmal passiert, dass Touch-Screens nutzbar geworden sind.» Das Arbeiten mit dem Touch-Screen des Iphones, beschreibt Frank Buchter zunächst als «Angenehmes Erlebnis». Die zur Auswahl stehenden Funktionen zu suchen und zu aktivieren, rufe ein Gefühl des Entdeckens hervor. Aber auch generell die Tatsache, ein Gerät zu nutzen, welches auch viele Sehenden einsetzen, sei sehr interessant. Ein Nachteil sei eventuell, dass aus dem Entdecken manchmal ein minuziöses Absuchen des Bildschirms werde, wenn eine bestimmte Funktion gerade nicht auffindbar ist. Das führt natürlich zu Zeitverlusten. «Es wird einem nie gelingen, von allen installierten Apps einfach zu wissen, wo sich welcher Knopf befindet.»

Mit seinem Entscheid, sich gerade ein Iphone zuzulegen, ist er einem allgemeinen Trend gefolgt. Andere SmartPhones habe er gar nicht angeschaut. «Ich habe zwar gehört, dass es inzwischen auch andere, vielleicht sogar bessere Geräte mit anderen Betriebssystemen gebe, aber ich bemühte mich nicht gross, einen Vergleich anzustellen. Aber diese eingebaute Sprachausgabe ist ja schon etwas einzigartiges bei Apple; ich weiss gar nicht, ob es bei Android etwas vergleichbares gibt.»

Um das Iphone zu nutzen, aktiviert Frank Buchter den VoiceOver Screen-Reader. Und auch die Sprach-eingabe Siri, verwendet er regelmässig. Dank Siri schreibe er nun recht viele SMS-Nachrichten. Einzig das Korrigieren der Fehler, die Siri in seine diktierten Nachrichten einfügt, sei etwas gar umständlich.

Die Mobility App: Auch von blinden nutzbar

als ich nach Testpersonen für die Swiss App Awards suchte, glaubte ich nicht, dass sich jemand für die Evaluation der Mobility Car Sharing (nominiert übrigens als ‹Best Web App›) melden würde – aber Frank Buchter hat’s getan. Ich frage ihn unverfroren, warum eine blinde Person mit der Mobility App arbeiten solle. «Das ist natürlich eine gute Frage. Es ist schon so, dass man die Car Sharing App ja quasi nur mit einer sehenden Person nutzen kann, die das geteilte Auto auch fährt. Bei uns ist aber genau dies der Fall: Meine Frau und ich sind effektiv Mobility Kunden und darum hatte ich die App auch schon auf dem Iphone».
Bis jetzt hat offenbar jeweils seine sehende Frau die Mobility Reservationen getätigt. Aber man kann sich gut vorstellen, dass Frank Buchter ihr diese Aufgabe auch einmal abnehmen möchte.
Frank Buchter nimmt die Aktion ‹ÄCHZessibility Awards› zum Anlass, sich die App mittels VoiceOver anzusehen.
«Im ersten Moment traf ich auf einige Dinge, die ich nicht verstand und wo ich mich fragte, wie man weiter komme. Aber nach einigem Ausprobieren und mit dem Ertasten des Bildschirms und aller buttons, konnte ich mir langsam einen Überblick verschaffen».
Hie und da traf er auf Buttons, die verwirrender Weise in englisch beschriftet waren. Und es gab Situationen, in denen er etwa den «Zurück» Button gar nicht mehr fand.
Trotzdem: Er schafft es, alle wichtigen Informationen für eine Reservation auszuwählen und einzugeben; da es sich um einen Testlauf handelt, drückt er am Schluss lediglich nicht auf die «Speichern» Taste. «Ich hätte es aber geschafft, das Auto zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort zu reservieren.»
Fazit: Die App ist zu 90 Prozent auch von blinden Usern nutzbar. Es wäre zu begrüssen, wenn sich die Entwickler mit sehbehinderten und blinden Anwendern treffen könnten, um auch die übrigen 10 Prozent barrierefrei zu gestalten.

Jonas Pauchard: Das Iphone macht Dinge angenehmer

Jonas Pauchard ruft mich mit seinem Iphone, via Skype, an. Der 20 jährige absolviert im Moment das Abschlussjahr des Gymnasiums; auch er ist vollständig blind. Sein erstes Iphone besorgte er sich vor bald drei Jahren: «Das war kurz nachdem das Iphone 3GS auf den Markt gekommen war».
Er kann verstehen, dass viele Sehende nicht glauben, dass blinde Menschen Iphones nutzen. «Ich habe das am Anfang, als ich noch kein Iphone hatte, auch gedacht. Die Arbeitsweise unterscheidet sich von jener der Sehenden: Dadurch, dass das Iphone keine normalen Knöpfe mehr besitzt, ist ein blinder Nutzer darauf angewiesen, dass man zunächst angesagt bekommt, welches Objekt man auf dem Bildschirm berührt. Will ich dann etwas definitiv auswählen, muss ich jeweils doppel-tippen.»
Dass das Iphone einen zugänglichen Touch-Screen hat, ist nicht der einzige Unterschied zu seinen früheren Handies. Jonas Pauchard erwähnt, dass die assistive Technologie für Blinde im Iphone bereits inbegriffen ist und dass alle Standard-Apps auf dem Gerät auch perfekt damit funktionieren. Andere Handy-Modelle liessen sich zwar im Nachhinein mit einem Screen-Reader erweitern. Dies führte aber jeweils zu erheblichen Mehrkosten, die bei jedem neuen Handykauf wieder anfielen.
Das Iphone ist inzwischen Jonas Pauchard’s einziges handy; und zum Teil hat es auch schon angefangen, seinen Computer abzulösen. «Mit Hilfe meiner externen Bluetooth-Tastatur und meinem Iphone kann ich viele Aufgaben relativ schnell erledigen. Etwa am Abend oder am Morgen im Bett zu liegen und von dort aus schnell ein Mail zu schreiben, ist viel angenehmer, finde ich.»

Stationen: Wenn die Details nicht wären…

Weniger angenehm gestaltet sich die Besprechung der Stationen App. Die App – nominiert für den «Best User Experience» App Award, zeigt eigentlich die Abfahrts- und Ankunftszeiten der öffentlichen Verkehrsmittel an einem bestimmten Bahnhof in der Schweiz an.
So weit, so gut. Nur leider ist es so, dass sich die Anzeige bei grösseren Bahnhöfen nach Verkehrsmittel filtert. In Bern sind das etwa «Fernverkehr», «S-Bahnen» und «Trams/busse». Und genau die Umschalter für diese Filter sind bei aktiviertem VoiceOver Screen-Reader nicht mehr aktivierbar. Mehr noch: für blinde User, wie Jonas Pauchard, scheinen sie gar nicht vorhanden zu sein.
Dass es sie gibt, weiss er nur, weil sie in einer Vorgängerversion noch perfekt zugänglich waren. Mit dem letzten Update gingen sie aber verloren.
Es ist ein kleiner Teil der App, der nicht zugänglich ist. Blöderweise ist es aber auch einer der wichtigsten; sind diese Buttons nicht verfügbar, werden blinden Anwendern schlicht nicht alle Ein- oder Ausfahrenden Verkehrsmittel angezeigt und die App ist so gut wie nutzlos.
Einziger Trost: an kleineren Bahnhöfen wird jeweils die gesamte Liste aller Verkehrsmittel, ohne Filter, angezeigt. Aber selbst dort wird Jonas Pauchard die App im Moment nicht einsetzen.
«Das Beispiel zeigt», sagt Jonas, «wie wichtig es für Entwickler ist, ihre Applikationen sorgfältig auf Zugänglichkeit zu prüfen. Wahrscheinlich wäre es in diesem konkreten Fall nicht eine so schwere Sache, die Buttons auch für VoiceOver User wieder auffindbar zu machen.»
Ein weiteres verlorenes Feature sei übrigens die funktion, aus der Liste aller abfahrenden Züge einen auszuwählen und dann seinen Streckenverlauf (mit allen Stationen) durchzulesen. Auch diese Funktion ist mit eingeschaltetem VoiceOver nicht mehr ausführbar.

Screenshot Stationen
Abfahrts-Übersicht der Stationen App. Eine Schaltfläche zum Umstellen von «Fernverkehr» zu «S-Bahnen» oder «Tram/Bus» ist für blinde Iphone User hier unauffindbar.

Fazit: Auch diese App ist wohl zu 90 Prozent zugänglich; nur dass in diesem Fall sehr wichtige Elemente die 10 Prozent Unzugänglichkeit ausmachen.

Zum Schluss unseres Gesprächs frage ich Jonas, ob er viel Kontakt mit App-Entwicklern aufnehme, um über Accessibility-Probleme zu berichten. «Ehrlich gesagt kommt das jeweils auf meine Laune und meine Lebens-Energie an. Eine Zeit lang habe ich sehr oft Kontakt aufgenommen und auch hie und da positive Feedbacks erhalten. In letzter Zeit mache ich’s wieder nicht mehr so viel, was ich dann auch ein wenig bereue; denn manchmal lässt sich ja etwas bewirken. Und wer nichts sagt, kann nichts bewegen.»

So Geht’s Weiter

In der nächsten Folge der ÄCHZessibility Awards befassen wir uns mit der am prominentesten dargestellten Award-Kategorie: Best Game Apps.

Downloads

Die ÄCHZessibility Awards stehen in keinem offiziellen Zusammenhang mit den Swiss App Awards, wurden aber offensichtlich durch diese inspiriert.

4 Kommentare zu “ÄCHZessibility Award: Mobility Car Sharing und Stationen im öffentlichen Verkehr

  1. Hallo Daniel; ja, der Beitrag über die SBB ist in der Pipeline und kommt heute Abend auf den Blog, allerdings reden wir nur mit einem Iphone-User und schauen uns die Android Version nicht an.

  2. Die App Stationen wurde unterdessen in Zusammenarbeit mit einem blinden Benutzer für VoiceOver optimiert. Bei Problemen oder Anregungen einfach direkt bei mir melden.

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